«Die Mensch-Maschine, halb Wesen und halb Ding»: Was die Band Kraftwerk 1978 sang, wirkt heute nicht einmal mehr prophetisch – die Verschmelzung von Mensch und Maschine findet bereits statt.

Etwa in der Gestalt von Steve Void. Der 36-Jährige aus Basel hat Chips, Platine und Magnete unter der Haut. Damit speichert er Passwörter, schliesst Haustüren auf, entsperrt das Handy. Er trägt seine Krankenakte Patientenakten Welche Rechte haben Patienten? in sich, Daten über Allergien und seinen Pass. Er wünscht sich Biosonden in seinem Körper, die ihm live alle Gesundheitsdaten aufs Tablet schicken.

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Ridley Scotts Filmklassiker «Blade Runner» hat ihn inspiriert. «Ich wusste, dass mit der Zukunft etwas kommt», erzählt Void. Mit 16 spritzte er sich am Küchentisch die ersten Chips in die Hand. Chips aus der Zoohandlung, Kostenpunkt fünf Franken. «Ich konnte damit den PC entsperren und Mädels beeindrucken.» Mittlerweile sind es mehr, rund 30 Chips. Genau weiss er es nicht, er hat den Überblick verloren.

«In meiner Dimension gibt es keinen anderen Transhumanisten in der Schweiz.»

Steve Void

Steve Void, Gastronom, hat rund 30 Implantate im Körper.

Quelle: Basil Stücheli
Blutvergiftung vom Implantat

Der gelernte Gastronom trägt ausschliesslich Schwarz. Void ist tätowiert, voller Narben und hat Ausbuchtungen am Körper, wo die Chips und Implantate stecken. «Void» nennt er sich, seit er 18 war. Der Name, Englisch für «Leere», soll signalisieren, dass Individuen unwichtig sind, dass nur der Fortschritt zählt. Void ist ein Mann der Extreme, das weiss er selbst. Er sagt, nicht gerade bescheiden: «In meiner Dimension gibt es keinen anderen Transhumanisten in der Schweiz.»

Von nichts lässt er sich aufhalten, auch von lebensgefährlichen Verletzungen nicht. Sein Körper stiess schon Implantate ab, er hatte Blutvergiftungen. «Einmal hielt ich die Schmerzen nicht mehr aus. Ich stand in der Küche, griff zum Messer, setzte neben der Vene an und schnitt das Implantat heraus.»
 

«Jeder, der sagt, wir Menschen seien noch keine Cyborgs, irrt.»

Steve Void, Transhumanist


Void glaubt an das Lamarck’sche Evolutionsprinzip, also daran, dass Organismen Eigenschaften an ihre Nachkommen weitergeben können, die sie während ihres Lebens erworben haben. «Evolution durch Innovation», sagt er dazu. Er will sich optimieren. Für ihn ist der Mensch eine Spezies, die eine Korrektur benötigt. «Wenn die UV-Strahlung immer stärker wird, müssen wir uns anpassen und verhindern, dass wir an Hautkrebs sterben. Doch das ist dann eine genetische Veränderung und nochmals ein anderes Level von Eingriff.»

Nicht alle Menschen könnten an der Optimierung beteiligt werden, glaubt er, das sei nicht möglich. Hardcore-Transhumanisten würden darin eine Form der Selektion sehen.

Er selbst gehe nur einen Schritt weiter als die meisten Menschen, die mit ihrem Smartphone eine Symbiose mit der Technik eingegangen sind. So lässt sich an fast jedem Ort der Welt auf das gesammelte Wissen der Menschheit zugreifen. Man implantiert Herzschrittmacher und Hörgeräte Hörgeräte und ihr Nutzen Mehr Lebensqualität im Alltag . Was bei Kraftwerk Ende der siebziger Jahre nach Science-Fiction klang, ist heute Alltag. Die Technik ist ein Teil von uns geworden. 

Das Ziel ist die Unsterblichkeit

Mike Schaffner ist ein sanfter junger Mann, er wohnt in einem Atelier nahe Basel. «Schon als Kind faszinierte mich die Verschmelzung von Mensch und Maschine.» Mit Hilfe der Technik verbessert oder modifiziert der 28-Jährige seinen Körper. Zwei Chips, nicht grösser als Reiskörner, sitzen in den Händen. Mit ihnen öffnet er Türen, entsperrt sein Smartphone, speichert Kontakte. Bald will er damit auch zahlen können.

Unter seinen Ringfingern trägt Mike Schaffner kleine Magnete, eine Erweiterung seiner Sinne. So spüre er elektromagnetische Felder. Wenn er über eine Lampe fährt, beginnen die Magnete zu vibrieren. Wenn er ein Bild an der Wand aufhängen will, findet er Stromleitungen per Ringfinger.

Ihm reicht das jedoch nicht. Sein Ziel ist die Unsterblichkeit. «Die menschliche Biologie ist schwach. Es braucht so wenig, bis der Körper kollabiert», sagt er. Erfahren hat er das am eigenen Leib. Als er nach einer Implantation die Fäden zog, entzündete sich die Wunde so stark, dass der Chip im Spital in einer Not-OP wieder entfernt werden musste.
 

«Grössere Brüste sind möglich, einen Magneten an der Schädeldecke anbringen aber nicht?»

Mike Schaffner


Abgeschreckt hat ihn die Nahtoderfahrung nicht. Vielmehr hat sie ihn darin bestärkt, dass man den Menschen robuster machen müsse. Doch das sehen nicht alle so. Der Basler merkt das jedes Mal, wenn er niemanden findet, der ihm ein Implantat einsetzen will. Einmal wollte er sich einen Magneten in die Schädeldecke einpflanzen lassen, um Musik über Vibrationen hören zu können. Er schrieb alle Schönheitschirurgen Schönheits-OP Schöner dank Skalpell? in der Schweiz an. Dann sogar Tierärzte. Alle lehnten ab. Für Schaffner unverständlich: «Grössere Brüste sind möglich, einen Magneten an der Schädeldecke anbringen aber nicht?»

«Die menschliche Biologie ist schwach. Es braucht so wenig, bis der Körper kollabiert.»

Mike Schaffner

Mike Schaffner, IT-Spezialist, hat Magnete in den Fingern.

Quelle: Basil Stücheli
Mensch soll Evolution selbst in die Hand nehmen

Der Begriff Transhumanismus kommt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie «über das Menschliche hinaus». Vor allem in den USA, im Silicon Valley, wächst die Bewegung. Die menschliche Natur wird als formbar angesehen, Menschsein als nichts, was unbedingt erhalten werden muss. Die Visionen reichen von Implantaten, die Parkinson heilen, bis zum Mind Uploading, mit dem sich Gehirninhalte auf digitale Trägermedien auslagern lassen.

Nicht alle Transhumanisten haben Chips implantiert. Aber alle sind überzeugt, dass der Mensch sein Schicksal, die Evolution, selbst in die Hand nehmen muss. Mit dem Ziel, das menschliche Wesen zu verbessern. Wie das geschehen soll, darüber sind sie sich uneins. Einer der bekanntesten ist Elon Musk. Mit seiner Firma Neuralink will er erreichen, dass sich das Gehirn mit Computern verbinden und mit künstlicher Intelligenz ausstatten lässt. Ein anderer ist Filmemacher Rob Spence, der sein verletztes Auge durch eine Wireless-Kamera ersetzt hat.

Der Deutsche Patrick Kramer, der sich Chief Cyborg Officer nennt, implantiert Leuten live auf der Bühne Chips. Tausende tragen inzwischen einen davon – wie Mike Schaffner. Transhumanismus ist auch Business.

Biohacker, die Auserwählten

Auch für Marc Dusseiller ist es ein Geschäft. Er bezeichnet sich als Do-it-yourself-Biologen, als Biohacker. Den Transhumanismus lehnt er ab. «Es ist eine elitäre, extrem unkritische und zu sehr auf Technik ausgelegte Bewegung», sagt der 44-Jährige. Transhumanisten sähen sich als Auserwählte. Biologie und Technik müssten aber der ganzen Gesellschaft offenstehen. Er glaubt zwar auch an die Verschmelzung von Mensch und Maschine, doch er setzt andere Schwerpunkte. «Es gibt spannendere Dinge, als mir einen Chip einzusetzen.»
 

«Bei uns arbeitet man in Gruppen. Man merkt, wenn jemand abdriftet.»

Marc Dusseiller, Biohacker


Der Schaffhauser promovierte 2006 an der ETH Zürich in Material- und Nanobiowissenschaften, merkte dann aber, dass ein Leben in einer Forschungseinrichtung nicht zu ihm passt. Er hat lange Haare, Bart und meist eine übergrosse Brille, bei der man nicht weiss, ob sie Schutzbrille, Accessoire oder Sehhilfe ist. Dusseiller will die wissenschaftliche Forschung aus den Universitäten heraustragen und die ganze Gesellschaft daran beteiligen – um das Gemeinwohl zu verbessern.

Dazu gründete Marc Dusseiller 2009 mit internationalen Mitstreitern Hackteria.org. Eine Online-Plattform, die das Wissen über Biotechnologie öffentlich zugänglich macht.

Darauf finden sich Anleitungen zum Bau von Laborinstrumenten, aber auch Experimente, die im Stile von Kochrezepten beschrieben sind. Um die Welt der Biologie mit möglichst simplen Mitteln erkundbar zu machen, liefert Marc Dusseiller etwa eine Anleitung zum Umbau einer billigen Webcam in ein Mikroskop oder zeigt, wie sich aus Milchstein Plastik herstellen lässt. «Mir geht es um die Demokratisierung der Wissenschaft.» Deshalb wolle er Erkenntnisse auch ausserhalb des klassischen wissenschaftlichen Kontexts streuen. Dazu führt er Workshops in Indonesien, Kenia, Taiwan und Nepal durch.

«Es gibt spannendere Dinge, als mir einen Chip einzusetzen.»

Marc Dusseiller, Biohacker

Material- und Nanowissenschaftler Marc Dusseiller will die Forschung für alle öffnen.

Quelle: Basil Stücheli
Im Visier des Bundes – das FBI schaute auch schon vorbei

Inzwischen interessiert sich auch der Bund für Dusseillers Ansatz und führt dazu eine auf zwei Jahre angelegte nationale Studie durch. Man will herausfinden, ob Biohacking gefährlich ist und der Bund einschreiten muss. Die ersten Ergebnisse zeigten, dass die Szene ungefährlich sei, sagt Basil Gerber, stellvertretender Sektionschef Biotechnologie. «Biohacker führen kleine Experimente durch. Und sie machen sich durchaus Gedanken um ihre Experimente. Ob der Bund aber alles mitbekommt, ist natürlich die andere Frage.» Wichtige Einschränkung: Die Transhumanismus-Szene sei bisher nicht untersucht worden. Dafür sei das Bundesamt für Umwelt nicht zuständig.

Dass der Bund die Biohacker-Szene untersucht, überrascht nicht. Wenn in Garagen und Containern mit gentechnisch veränderten Organismen hantiert wird, muss die Frage der Biosicherheit geklärt sein. Biohacker Marc Dusseiller sagt, dass die Selbstkontrolle bisher funktioniert habe. «Bei uns arbeitet man in Gruppen. Man merkt, wenn jemand abdriftet.» Gefährlicher sei es, wenn jemand allein in einem Forschungslabor für Biowaffen arbeite und plötzlich austicke.

Nicht nur der Bund interessierte sich für die Szene, 2011 schaute sogar das FBI vorbei. «Sie luden andere und mich ein», erzählt Dusseiller. «Sie wollten wissen, was wir so machen.»

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Dominique Strebel, Chefredaktor
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