«Als Zemp in eine andere Wohnung umzog, folgte ihm Elise Saxer mit dem Kinde nach», schreibt das Bundesgericht. «Sie besorgte Zemp den Haushalt, nächtigte mit ihm in seinem Schlafzimmer und lebte mit ihm in Geschlechtsgemeinschaft.» Dafür seien die beiden zu Recht zu je einem Monat Gefängnis bedingt verurteilt worden, so die höchsten Schweizer Richter weiter. Der Grund: «Damit verstossen sie gegen die öffentliche Ordnung, wonach Grundlage für das Gemeinschaftsleben der Geschlechter die Ehe ist.»

Das war 1945, als es noch in zahlreichen Kantonen Konkubinatsverbote gab. Heute gilt die wilde Ehe gesellschaftlich als salonfähig. Mehr als 370'000 Menschen leben in dieser Beziehungsform, das sind elf Prozent aller Paare - dreimal mehr als vor 20 Jahren.

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Doch vom Staat werden sie immer noch benachteiligt, wenn auch subtiler: Gesetzgeber und Gerichte nähern Konkubinatspaare immer mehr der Ehe an - aber nur wenn es für die Paare nachteilig ist. Wo die Anpassung an die Ehe den Konkubinatspaaren Vorteile bringen würde, verweigert der Staat entsprechende Rechte. So haben Konkubinatspartner beispielsweise beim Tod des Partners kein gesetzliches Erbrecht - und wenn sie doch erben, weil der verstorbene Partner das im Testament so gewünscht hat, müssen sie Erbschaftssteuern von bis zu 40 Prozent abliefern.

Der Staat sieht nur die Bindungsangst
Der Grund für diese Schlechterstellung ist diffus. So bezeichnete der Bundesrat Konkubinate vor zwei Jahren in einer Antwort auf einen parlamentarischen Vorstoss als «Paare, die sich nicht zur Ehe entschliessen können» und lehnte ihre rechtliche Besserstellung ab. Damit suggerierten die höchsten Magistraten, der einzige Grund für die Ehe ohne Trauschein sei die Bindungsangst der Partner.

Der Beobachter wollte es genauer wissen und gab deshalb beim Meinungsforschungsinstitut Konso eine repräsentative Umfrage in Auftrag. Die zentrale Frage an die Konkubinatspaare lautete dabei, welcher Grund für die Ehe ohne Trauschein am ehesten zutreffend ist. So mussten sich die Befragten auf einen Hauptgrund festlegen, obwohl natürlich immer eine Mischung aus verschiedenen Motiven entscheidend ist.

Die Resultate sind bemerkenswert: Weniger als ein Drittel der Befragten bevorzugen das Konkubinat aus Steuergründen und nur knapp ein Fünftel, weil sich die Partner noch nicht allzu fest binden wollen. Und: Die Hälfte der befragten Paare wählt diese Beziehungsform auf Dauer, also nicht als Vorstufe zur Ehe.

Die Ergebnisse im Detail

  • Steuern sparen: Knapp ein Drittel der befragten Konkubinatspartner gibt an, dass die Steuerersparnisse im Konkubinat der wichtigste Grund für die Wahl dieser Lebensform seien. Dieses Resultat erstaunt, denn es bedeutet, dass immerhin eine Zweidrittelmehrheit aus anderen Gründen nicht heiratet. Das widerspricht der landläufigen Meinung. «Viele Kollegen behaupten, wir würden nur nicht heiraten, um Steuern zu sparen», sagt Werner Rodel aus Zürich, der seit fünf Jahren im Konkubinat lebt. «Dieser Vorteil ist eher eine nette Nebenerscheinung.»

    Eine Steuerersparnis ergibt sich für Konkubinatspaare, weil jeder Partner getrennt veranlagt wird. In der Ehe indes werden die Einkommen zusammengezählt. Damit käme das gleiche Paar, würde es heiraten, in eine höhere Progression und müsste mehr Steuern zahlen. Das kann mehrere tausend Franken ausmachen.

    Damit rechtfertigte man bis anhin oft die rechtliche Schlechterstellung des Konkubinats: Wer dem Staat weniger zahlt, hat einen geringeren staatlichen Schutz. Doch dieses Argument fällt bald dahin: Ab 1. Januar 2008 können Doppelverdiener-Ehepaare in der Steuererklärung nämlich höhere Abzüge von bis zu 12'500 Franken vornehmen. Dadurch werden zwei Drittel dieser Ehepaare in Zukunft gleich viel Steuern zahlen wie vergleichbare Konkubinatspaare.

    Das wird aber keinen Sturm auf die Zivilstandsämter auslösen: Gemäss Umfrage würden nur gerade 50 von 250 befragten Konkubinatspartnern heiraten, wenn sie damit weniger Steuern zahlen müssten - und dies aber erst ab einer Steuerersparnis von 2000 Franken.
  • Angst vor Bindung: Fast ein Fünftel der Befragten gibt an, sie würden im Konkubinat leben, weil sie sich nicht zu schnell festlegen wollen. Vor allem auf die Jüngeren trifft das zu.

    «Ich möchte schon heiraten», sagt etwa die 21-jährige Jana Peissig aus Buttisholz. «Aber zuerst muss ich den Richtigen getroffen haben.» Doch nicht nur junge Menschen bevorzugen deshalb die Ehe ohne Trauschein. «Das ominöse Jawort hat für mich eine grosse Bedeutung», sagt etwa der 38-jährige Werner Rodel. «Das Konkubinat ist für mich quasi eine Testphase.» Er wolle sich nicht drei- oder viermal scheiden lassen müssen, bevor er die Richtige gefunden habe. So ist die hohe Scheidungsrate mit ein Grund, weshalb die Zahl der Konkubinatspaare zunimmt. Auch der Zürcher Paartherapeut Jürg Willi sieht in der Bindungsangst das Hauptmotiv für die Ehe ohne Trauschein.
  • Keine Mitsprache des Staats: Knapp ein Sechstel der Befragten will sich vom Staat nicht in die Beziehung dreinreden lassen und lebt deshalb im Konkubinat. Bei Leuten mit Berufsbildung ist dies doppelt so wichtig wie bei Paaren mit Uni-Abschluss.

    Störend empfinden viele, dass der Staat beim Auseinandergehen ein Wörtchen mitzureden hat. «In unserem Bekanntenkreis haben wir zwei abschreckende Scheidungen erlebt», begründet die 31-jährige Marianne Minder aus Huttwil, weshalb sie seit neun Jahren mit ihrem Partner ohne Trauschein zusammenlebt. «Weil wir nicht verheiratet sind, werden wir ohne solches Gerichts- und Anwaltsgestürm auseinandergehen können.» Vor fünf Jahren träumte sie selbst noch vom Heiraten. Doch dann habe sie bei ihren Freundinnen erlebt, wie sie am Abend nach der Hochzeit in ein Loch fielen. «Wieso heiraten, wenn wir Verbindlichkeit und Treue auch im Konkubinat leben?»
  • Die Ehe als Liebeskiller: Nur sieben Prozent der Paare leben vor allem deshalb ohne Trauschein zusammen, weil sie meinen, die Ehe sei für die Liebe nicht gut.

    «Nach der Heirat glaubt die Frau, jetzt habe ich ihn. Und dann beginnt die Motzerei», bringt es der 39-jährige Gavin Hürlimann aus Rüschlikon auf den Punkt. Er lebt seit rund 14 Jahren aus Überzeugung im Konkubinat, weil seine Partnerin so mehr Respekt für ihn als Mann habe. Dass die Ehe ein Liebeskiller sei, sei tausendfach belegt: 60 Prozent seiner Kollegen, die geheiratet hätten, seien wieder geschieden.

    Etwas moderater formuliert es Corinne Wallach, 37, Mutter zweier Kinder, ebenfalls seit 14 Jahren im Konkubinat lebend: «Im Konkubinat ist die Wertschätzung für den Partner grösser, weil man sich stärker bewusst ist, dass man sich immer wieder umeinander bemühen muss.» Die Unabhängigkeit, die Freiheit im Kopf, sei ihr und ihrem Partner Thomas Spiess wichtig, obwohl sie sich voll füreinander entschieden hätten. Jeder trage sein eigenes Risiko und wisse, dass er sich selbst absichern müsse. «Möchten wir diese Unabhängigkeit in der Ehe, müssten wir Gütertrennung vereinbaren, und das gäbe zu viele Verträge und Regelungen, zu viel juristischen Krimskrams», meint die Buchhalterin aus Baar.

    Der 61-jährige Hansruedi Schmid, der seit 33 Jahren im Konkubinat lebt, stimmt zu: «Im Konkubinat hat man weniger Besitzansprüche an den Partner. Und das hat unserer Beziehung gut getan.»

Der Hafen des Konkubinats
Die Umfrage des Beobachters zeigt also, dass die Gründe fürs Konkubinat weit komplexer sind als vom Gesetzgeber angenommen. Zudem verstehen gemäss der Erhebung mehr als die Hälfte der Deutschschweizer Paare (51 Prozent) das Konkubinat nicht als Vorstufe zur Heirat, als Ehe auf Probe, sondern als auf Dauer angelegte Lebensweise. Das Konkubinat hat sich zumindest in der Deutschschweiz also definitiv neben der Ehe als eigenständige Form des Zusammenlebens etabliert.

Trotzdem sichern sich die wenigsten Paare ohne Trauschein entsprechend ab. Nur gerade 13 Prozent der Befragten haben einen Konkubinatsvertrag unterzeichnet. Der Rest glaubt, ohne auszukommen. Das könnte sich bei einer Trennung vom Partner rächen. So hat zum Beispiel eine Frau ohne Konkubinatsvertrag weder ein Anrecht auf Alimente noch auf einen Anteil des während der Beziehung erwirtschafteten Vermögens des Partners, auch wenn sie ihm die ganze Zeit den Haushalt gemacht und die Kinder betreut hat.

Es sei den Konkubinatspaaren zuzumuten, «den Gestaltungsraum, den ihnen der Gesetzgeber lässt, durch Verträge auszuschöpfen», antwortete der Bundesrat auf eine Motion, die die rechtliche Besserstellung der Konkubinate verlangte. Doch als allgemeine Antwort auf die Probleme der unverheirateten Dauerpartnerschaften greift das Argument zu kurz.

Denn der «Gestaltungsraum» ist klein. Es gibt viele und entscheidende Fragen, die Konkubinatspaare vertraglich nicht regeln können. Bei einem Todesfall erhält der überlebende Partner beispielsweise keine AHV-Witwenrente, erbt nichts, wenn er im Testament nicht als Erbe eingesetzt ist, und falls er erbt, muss er Steuern von bis zu 40 Prozent zahlen.

Wenige Rechte, viele Pflichten
Diese Schlechterstellung der Konkubinate gegenüber der Ehe haben andere Länder behoben: In Holland können sich Paare registrieren lassen und werden damit rechtlich bessergestellt. In Frankreich können sie wesentliche Nachteile mittels eines staatlich abgesegneten Vertrags vermeiden. In der Schweiz haben dies Bundesrat und Parlament vor fünf Jahren ausdrücklich abgelehnt, als man die eingetragene Partnerschaft für Homosexuelle beschloss. Die Begründung des Bundesrats: «Die Einführung eines solchen Instituts würde dem Verfassungsauftrag, die Ehe zu schützen, zuwiderlaufen.»

Diese Haltung des Bundes steht im Kontrast zu den Entwicklungen in den Kantonen, bei Gerichten und Behörden: In den letzten Jahren haben sie den Begriff des «gefestigten Konkubinats» erfunden und dieses den Ehepaaren immer dann gleichgestellt, wenn es dem Staat darum ging, Kosten zu sparen. Wenn etwa ein Mann ein Gesuch um Sozialhilfe stellt, muss er sich das Einkommen seiner Partnerin anrechnen lassen, falls er seit mehr als zwei Jahren mit ihr im Konkubinat lebt. Hier zeigt sich exemplarisch die Schere zwischen mangelnden Rechten und zunehmenden Pflichten, die sich für Konkubinatspartner mehr und mehr auftut: Der Mann, der möglicherweise keine Sozialhilfe erhält, weil seine Partnerin genug verdient, hat keinen rechtlichen Anspruch, die Unterstützung von ihr tatsächlich einzufordern, weil es unter Konkubinatspartnern im Gegensatz zu Ehepartnern keine Unterstützungspflicht gibt.

Wieso statuiert man nicht auch eine Unterstützungspflicht unter Partnern in «gefestigtem Konkubinat»? Und wenn man schon dabei ist: Wieso befreit man stabile Konkubinate nicht auch von den Erbschaftssteuern? Wenn Gerichte und Behörden gefestigte Konkubinatspaare schon wie Ehepaare in die Pflicht nehmen, spricht doch nichts dagegen, ihnen auch die gleichen Rechte zuzugestehen.

Wird dies nicht gemacht, drängt sich der Verdacht auf, dass der Staat immer noch durchsetzen will, dass «die Grundlage für das Gemeinschaftsleben der Geschlechter die Ehe ist» und das Konkubinat sanktioniert werden soll. Wenn auch nicht mit einer Gefängnisstrafe von einem Monat bedingt, so doch mit teilweiser Rechtlosigkeit. Elise Saxer lässt grüssen.

Nur knapp ein Drittel will Steuern sparen
Frage: Welche Begründung für das Konkubinat trifft auf Sie am ehesten zu?
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Das Jawort und der Röstigraben
Frage: Denken Sie daran, in näherer Zukunft zu heiraten?
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Deutschschweizer sehen das Konkubinat eher als selbständige Beziehungsform. Will doch mehr als die Hälfte der befragten Paare in näherer Zukunft nicht heiraten.
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In der Romandie wird das Konkubinat vor allem als Vorstufe zur Ehe verstanden. Laut Umfrage denkt mehr als die Hälfte der Konkubinatspartner an eine spätere Heirat.
Quelle: Institut Konso,
Repräsentative Umfrage, Juli 2007