Der letzte Sommer war nicht gut für Jenny Neumann. Dabei hatte sie sich so danach gesehnt, als noch eisiger Wind durch die Gassen von Winterthur fegte. Sie freute sich auf die Badi, plante mit ihrer Freundin Wanderferien in Italien.

Dann kam der Sommer endlich. Doch gute Laune oder neue Energie blieben aus. Jenny Neumann war schlecht gelaunt und dauernd erschöpft. «Mir fehlte der Winter sogar ein wenig. Ich wollte mich am liebsten daheim verkriechen und meine Ruhe haben», sagt die 31-Jährige. Später stellt sich heraus: Jenny Neumann leidet unter einer Sommerdepression.

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Bekannt ist die sogenannte saisonale affektive Störung im Winter. Aber für einige ist der Sommer weitaus schwieriger zu ertragen. So sind die Suizidraten in den Sommermonaten am höchsten. Forschende schätzen, dass etwa fünf Prozent der Bevölkerung an einer Sommerdepression leidet.

Die Weltgesundheitsorganisation führt sie in ihrer Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten auf. Dort heisst es: Die erste depressive Episode kann in jedem Alter auftreten, die Depression dauert von wenigen Wochen bis zu vielen Monaten.

Die Ursachen

Wie eine Sommerdepression entsteht, weiss die Medizin bislang nicht genau. Fest steht: Der Körper reagiert auf die Jahreszeiten. So ändern sich etwa der Sauerstoffbedarf des Gehirns und die Hormonproduktion. Blutdruck und Cholesterinspiegel können im Winter höher sein als im Sommer. So, wie sich die körperlichen Prozesse über die Jahreszeiten ändern, ist dies auch beim psychischen Wohlbefinden möglich. Doch wodurch wird aus Unwohlsein eine Depression?

Die Empfindlichkeit für Sinnesreize könnte eine Rolle spielen. Wer sehr sensibel ist, wird rascher von Einflüssen überflutet und kann das helle Sonnenlicht nur schwer ertragen.

Eine andere mögliche Ursache ist das Melatonin, das den Schlaf-wach-Rhythmus steuert. Bei Einbruch der Dunkelheit schüttet unser Gehirn dieses Hormon aus, wir werden müde und schlafen ein. «Wenn die Tage im Sommer länger sind und die Sonne heller strahlt, produziert der Körper weniger Melatonin», sagt Beat Steiger. Der Psychologe leitet die Sprechstunde Saisonale affektive Störungen der Psychiatrischen Dienste Aargau.

Ein solches Ungleichgewicht kann andere biochemische Prozesse beeinträchtigen, die eine Depression begünstigen. Vermutet wird zudem, dass auch individuelle Erfahrungen eine Rolle spielen – wie schwierige Lebensereignisse und nicht verarbeitete Traumata.

Depressionen behandeln

Betroffene neigen dazu, ihre Symptome zu ignorieren Vorurteile Psychische Krankheiten sind keine Einbildung . «Wenn draussen die Sonne schien und alle bester Laune waren, sagte ich mir: Stell dich nicht so an!», erzählt Jenny Neumann. «Und dann machte ich irgendwie weiter – dauernd erschöpft und ohne Freude.»

Sie hat ihre Antriebslosigkeit und Niedergeschlagenheit über Wochen hinweg ignoriert. Dabei litt sogar ihr Berufsleben zunehmend unter ihrer negativen Gemütsverfassung und Erschöpfung. «Ich verpasse Abgabetermine so gut wie nie – aber dann ist es mir viermal hintereinander passiert», sagt die Freelancerin.

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Mit solchen Schwierigkeiten muss man nicht allein fertigwerden. «Psychotherapie und medikamentöse Behandlung sind zwei gängige Lösungsansätze», sagt Beat Steiger. Betroffene können sich an Institutionen wenden, die Depressionen behandeln.

Auch Jenny Neumann holte sich Hilfe. Sie machte eine Psychotherapie in einer spezialisierten Tagesklinik für drei Monate. Medikamente brauchte sie nicht. Sie hat sich von der Krankheit erholt. Und sieht dem Sommer ruhiger entgegen.

Ein kleineres Sommertief

Auch ohne Depression kann der Sommer eine psychische Herausforderung sein. Etwa für Leute, die sich für ihr Aussehen schämen und sich darum nicht an die Strandparty wagen. Oder solche, die sich keine Ferien leisten können. Zudem schleicht sich bei all den sommerlichen Aktivitäten rasch das Gefühl ein, man habe nicht genug Zeit für sich selbst. Energiereserven werden aufgebraucht.

Einem solchen Sommertief lässt sich vorbeugen. Am besten überlegt man schon vorab, was einem in den Sommermonaten zu schaffen macht und wie es sich verhindern oder eingrenzen lässt. Und plant wöchentliche Ruhephasen ein.

Auch preiswertere Alternativen für Sommerferien – etwa zwei oder drei Wochenendtrips – können helfen. Und, was immer die Laune hebt: regelmässig Sport treiben und genug schlafen. Wenn sich trotz allem eine dunkle Wolke zusammenbraut, können lange Spaziergänge im Grünen helfen. Studien zeigen: Zeit in der Natur fördert das Wohlbefinden effektiv.

Saisonale affektive Störung im Sommer

So erkennt man sie

Wer an einer Sommerdepression leidet, ...

  • ... hat keine Energie, fühlt sich erschöpft;
  • ... kann nicht gut schlafen;
  • ... hat keinen Appetit;
  • ... ist ängstlich und unruhig;
  • ... hat keinen Spass mehr an Aktivitäten, die sonst Freude bereiten;
  • ... ist reizbar;
  • ... hat Mühe, sich zu konzentrieren;
  • ... fühlt sich überfordert.

 

So behandelt man sie

  • mit Psychotherapie, etwa durch kognitive Verhaltenstherapie;
  • mit Medikamenten, primär mit Antidepressiva;
  • mit körperlicher Aktivität, damit Endorphine und Serotonin ausgeschüttet werden;
  • durch vorübergehendes Abdunkeln des Raums;
  • durch Achtsamkeit, etwa Meditation und Waldbaden.